Dein Zuhause braucht Urlaub

Dein zu Hause braucht Urlaub

So lautete der Titel eines Newsletters eines schwedischen Möbelhauses der mich heute erreichte. Sicherlich witzig und sollte darauf hinweisen, dass man doch mal frischen Wind in die eigenen vier Wände lässt und einen neue Wohlfühloase für sich und seine Liebsten schafft. Eine Umgebung, in der man gerne lebt, isst, liebt und lacht.

Ich gebe zu, ich habe den Newsletter erst nicht aufmachen wollen. Mich triggerte dieser Spruch ungemein.

Alles was ich dachte, nach über einem Jahr Pandemie, war

„Herr Gott, ICH brauche Urlaub, nicht mein zu Hause“

Die, die mich ab und an mal lesen, kennen meine Geschichte.

Für alle die, die sie nicht kennen:

Ich bin Krankenschwester, arbeitete die letzten Jahre auf Intensivstationen. Das letzte Jahr auch auf COVID ITS. Mit und an COVID Patienten, bis ich Anfang dieses Jahres den Beruf verlies, meinen Pflexit beging und nun in einem medizinnahen Umfeld arbeite, aber von zu Hause aus.

Seit Dezember ist meine kleine Tochter nicht mehr im Kindergarten gewesen. Das war eine bewusste Entscheidung. Mich erschreckten Berichte über Long-Covid bei Kindern, und sie tun es immer noch.

Als ich meinen Beruf verlies befanden wir uns noch in der zweiten Welle, zwar am Ende, aber es war noch die zweite Welle.

Heute ist die dritte Welle auf ihrem Höhepunkt. Und das Wort „Welle“ hat etwas Taktisches, etwas Ungutes angenommen. Es erinnert mich nicht mehr an die schöne Zeit am Strand, wo man aufs Meer hinausblickt, sondern an Krieg, an Angriffe, an Tod und Verderben. Und genau das ist es auch.

Ich lese Berichte, schaue mir Zahlen an, rede mit alten Kollegen, interagiere mit meiner Bubble und sehe meine Gefühle bestätigt. Es ist ein Kriegsschauplatz geworden und wird es auch bleiben. Aktuell sehen wir Bilder aus Indien und der neuen Virusvariante. Auch Kinder sind massiv davon betroffen.

„Ist doch weit weg“ lese ich ab und an.

Ich schüttele dann nur mit Kopf und habe aufgehört zu argumentieren, weil ich müde bin, weil ich weiß, dass ich diese Menschen eh nicht mehr erreichen werde in diesem Leben. Ich wünsche Ihnen dann alles Gute und das sie gesund bleiben. Zu mehr bin ich nicht mehr im Stande.

Ich habe zu viel Leid und Tod gesehen in den letzten Monaten.

Jetzt wo ich im Homeoffice sitze, darf ich mir gerne und oft anhören, dass ich ja in einer Luxussituation bin

„Du sitzt da schön warm und safe zu Hause mit deinem Kind“

Warm und safe mag stimmen, aber Luxus ist das nicht. Ich kann zwar entscheiden, wann ich aufstehe, ob ich in Jogginghose meinen Job mache, kann entscheiden, wie mein Kaffee heute sein soll, wann ich Pause mach (dass ich überhaupt eine machen kann und DARF ist echt toll), ich kann auf der Terrasse arbeiten bei schönem Wetter.

Wer diese „Eckdaten“ sieht, hat recht. Es ist eine Luxussituation.

In diesem ganzen Gefüge von Luxus zerbricht die Rechnung aber genau an einem kleinen aber zuckersüßen Faktor. Und dieser nennt sich „Kleinkind“

Ich bin stündlich hin und hergerissen zwischen „Sie muss in die Kita“ „Sie muss aber sicher sein“ „ich bin überfordert“ „Sie muss aber gefördert werden“ „Ich habe drei Videokonferenzen am Vormittag“ „Sie bleibt daheim“. In Gedanken dabei immer auf die Uhr schielend, dass doch bitte bald beim Gatten Feierabend ist, und er zügig nach Hause kommt. Oh, ist erst 9:30Uhr…tja, Pech auch!

Wer denkt Homeoffice und Kindererziehung eines Kleinkindes packt man mal eben mit links unter einen Hut, der irrt.

Ich kann ihr nicht vermitteln, dass sie sich jetzt mal 3 Stunden selbst beschäftigen muss. Ich kann ihr nicht sagen „So Mama arbeitet jetzt mal, bis heute Mittag machst du was Sinnvolles, ja? Hier haste Buntstifte und Papier. Bis später!“

Nein, das geht nicht. Sie hat ihre ureigenen Bedürfnisse die ich tagsüber als Mutter erfüllen muss, während ich auch noch arbeiten muss. Homeoffice ist für Kinder ein völlig abstraktes Konzept. Vorher war „arbeiten gehen“ das „Haus verlassen, wiederkommen“. Wenn man dann zu Hause war, hatte man ausschließlich Zeit für den Nachwuchs. Dass ist aber so nicht möglich, wenn man von zu Hause arbeitet.  Das ich die Möglichkeit habe ist großartig, Wahnsinn und ich bin meinem Chef unendlich dankbar, dass er mich trotz der widrigen Umstände eingestellt hat, mir die Chance gegeben hat. Allein dafür müsste ich Ihm jeden Tag zehn Kuchen backen, einen Porsche kaufen und die Malediven erwerben. Meine Kollegen, sind ebenfalls toll. Sie sind geduldig, lassen die Kurze winken und reden. Das rechne ich Ihnen hoch an, da es nicht selbstverständlich ist. Auch Ihnen gebührt ganz viel Dank an dieser Stelle.

Sie ist aber nun mal in einer Phase wo sie gefördert und gefordert werden muss. Das ist das was jeden Tag die Pädagogen in der Kita machen und auch nichts ist was man mal eben so mit links macht. Da stehen Konzepte hinter die uns als Eltern nun mal nicht mit Entbindung als Handbuch mitgegeben werden und eine Lösung in jeder Situation bieten.

Sie wird jetzt fünf. Sie kommt von sich aus an und möchte lesen, schreiben und rechnen können. Ist toll, und das freut einen als Mutter auch, aber das ist nichts was mal eben zwischen Tür und Angel gemacht werden sollte oder eben zwischen zwei Videokonferenzen oder am besten noch während einer. Diese Phase ist eine vulnerable. Die Chance etwas zu versauen ist groß.

So wird man niemanden gerecht.

Also steht man jeden fucking Tag im Zwiespalt mit sich, der eigenen Verantwortung, den eigenen Wünschen für das Kind, dem schlechten Gewissen gegenüber dem Nachwuchs und dem dringenden Wunsch dieses Kind vor allem schlechten dieser Welt zu schützen, sie bewusst keiner Gefahr auszusetzen, körperliche Schäden in Kauf zu nehmen, wenn ich sie eben doch zu Hause betreuen kann. Mit Abstrichen aber immerhin. Nur wie viele dürfen es sein?

Die Gedanken rasen dazu und es geht mir nicht gut damit.

Weil ich selbst keine Lösung habe, ich nicht drauf warten kann, dass einer eine Lösung für mich als Mutter findet und weil ich niemanden diese Entscheidung aufdrücken will.

An dieser Stelle sei gesagt, wenn unser Kreis eine zielführende Teststrategie für Kinder hätte, wäre ich beruhigter und würde sie vermutlich in die Kita geben.

Haben wir aber nicht. Es kommen nicht genug Tests an, man baut auf Freiwilligkeit und sorry, aber wir haben Querdenker Eltern bei uns, die schon zu Beginn der Pandemie laut losbrüllten, dass sie sich niemals testen lassen werden, weil der Staat eine Diktatur ist. Und ich soll jetzt drauf vertrauen, dass diese Eltern ihre Kinder selbstständig und freiwillig testen? Wir wissen ja schließlich alle: Was nicht getestet wird, gibt es auch nicht. Ist wie mit Fieber, wer nicht misst, hat auch kein Fieber. Ganz sicher nicht. Lassen Sie sich da nichts anderes erzählen.

Aber so werden wir Eltern allein gelassen.

Warum nicht die Kinder in der Kita testen mittels Corona Mobil oder was weiß ich? Wer die Kinder nicht testen lassen will muss sein Kind wieder mitnehmen und gucken, wie er Betreuung organisiert. Pech gehabt eben. Aber neeee man baut darauf das sich alle vernünftig verhalten. Das ist genau diese Vernunft, die uns die zweite Welle, die dritte beschert haben und auch eine vierte bescheren wird.  Sechs, setzen, lieber Kreis.  Aber so kann man dann auch sagen, es gab keine Ausbrüche in den Kitas. Eine Kontaktverfolgung ist so aber auch nicht möglich.

Und für die, die es noch nicht wissen: Momentan liegen die Eltern der Kinder auf den Intensivstationen. Die Kinder mitaufgenommen in den Kliniken oder durch Angehörige betreut oder, im schlimmsten Falle, durch das Jugendamt in einer Pflegefamilie untergebracht.

Freiwilligkeit und Vernunft und Apelle bringen uns nichts mehr.

So sitze ich also in meinem Vollzeit Homeoffice Job, werden einem Kind tagsüber nicht gerecht, nachmittags dann auch nicht, weil ich kaputt bin vom Denken, vom Telefonieren, vom Reden, von allem.

Ich kann aber auch nicht mal irgendwo hin, um Kraft zu tanken. Meine Batterien sind tiefentladen und nicht mehr nur leer. Ich brauche Urlaub. Urlaub vom Dauerfeuer, von der Pandemie, von meinem Zuhause, von all dem Irrsinn, von all dem Nicht-verstehen-wollen um mich rum, vom Kopfschütteln, von all den Tränen. Urlaub, um eine Lösung zu finden.

Vielleicht braucht mein Zuhause doch einen Urlaub, aber von mir. Aber so war das sicherlich nicht vom blau-gelben Riesen gedacht. So bleibt weitermachen wie bisher, drauf bauen, dass es bald eine Impfung für Kinder gibt, die nicht einer Kosten-Nutzen-Analyse unterliegt, auf helle Köpfe beim Kreis, die die Testpflicht einführen und das es überprüft wird, darauf das dieser Albtraum Pandemie bald vorbei ist. Für uns alle. Für jeden Einzelnen.

Veröffentlicht von schwesterunbequem

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