Was Mobbing anrichtet…

Es ist abends, mir ist langweilig, ich surfe durch social-media. Instagram, TikTok, Twitter.

Viele Inhalte mit wenig Substanz meiner Meinung nach. Es ist eine Aneinanderreihung von Scheinwelten fernab des echten Lebens was Otto-Normal-Verbraucher bei sich selbst zu Hause hat. Es ähnelt einer Realitätsflucht, dem Abtauchen in den Surrealismus gepaart mit der kreischenden, kognitiven Leuchtreklame im eigenen Kopf: „SIEH HER! MEIN LEBEN IST SO GEIL! ICH HABE ALLES WAS ERSTREBENSWERT IST UND DU BIST NICHTS“ Die Kommentare bestätigen dies auch.

 Es bleibt der fade Beigeschmack von Wertlosigkeit die subjektiv jedem zweiten Bild anhaftet. Natürlich liegt es bei jedem selbst wie er das aufnimmt, verarbeitet und abspeichert.

Nehmen wir mal das Beispiel „Figur“

Ich war immer übergewichtig und wurde in einer Zeit groß in der body-positivity nicht existierte. Plus-Size wurde nicht so benannt, sondern es hieß einfach nur gehässig „die ist fett“. Alles war mir in meiner Teenagerzeit geholfen hätte mich wohlzufühlen, Dinge, die es heute gibt, gab es nicht. Kleidung war der Horror, meine Mutter hatte das Modebewusstsein eines steppenden Kohlrabis, wenn es um mich ging. Sie selbst war immer adrett gekleidet und wurde kleidertechnisch ihrer Rolle als Geschäftsfrau gerecht. Meine Schwester, 16 Jahre älter, war da auch nicht wirklich hilfreich. Also trug ich mit 11 Jahren lange Jersey-Röcke, dazu ein kastenförmiges T-Shirt in weiß aus der Herrenabteilung welches bis zu den Knien ging. Und et voilà: Das Mobbingopfer war geboren.

Ich litt, sehr. Ich war Opfer von körperlicher Misshandlung und psychischem Missbrauch. Die Reaktion meiner Eltern auf die Misshandlung war auch ein Gespräch in der Schule, aber auch eine Gewaltaktion unter Tränen in der man mich auf eine Waage zwang unter den Argusaugen meiner Eltern mit dem Endresultat, dass ich jetzt sofort abnehmen muss. Kein Wort von Empathie, von Verständnis, von Zuspruch. Meine Eltern waren beide übergewichtig. Ich kenne sie gar nicht anders. Da halfen auch keine Bilder aus der Jugendzeit meiner Eltern, wo mein Vater rank & schlank vor seinem Auto in Shorts mit Six-pack posiert und auch kein Bild wo meine Mutter, in vermutlich Kleidergröße 32/34, im Bikini am Gardasee liegt. Und auch nicht die Geschichten von meiner Schwester, die doch immer so dünn gewesen ist, dass sie in nichts Gescheites passte, weil alles schlackerte.

Ich erinnere mich wie ich weinend in meinem Zimmer mit eben jenen Worten und Bildern zurückblieb. Es blieb die unausgesprochene Aussage „du bist selbst schuld“ wie eine schwere, dunkle Wolke im Raum zurück und überschattet, wenn ich ehrlich bin, noch heute mein gesamtes Dasein. Von da an war mein Leben ein einziges auf und ab an Diäten, die mehr oder minder erfolgreich waren. Meine Eltern probierten alles an mir aus was der Markt damals hergab. Eine gesunde Ernährungsweise, ein normales Portionsverhältnis oder gar Sport wurde nicht vorgelebt. Ich erinnere mich daran, wie ich sagte, dass ich gerne Volleyball spielen wollte. Die Antwort meiner Eltern war „Dafür wiegst du zu viel, du musst erst abnehmen. Die Mädchen tragen alle knappe Höschen, wie soll das bitte bei dir aussehen?“ Die irrwitzige Konsequenz bestand darin, mich im Ruderclub anzumelden. Etwas was ich nie geäußert hatte und sicherlich nicht zu meinem lang gehegten Traum gehörte, übergewichtig in ein dünnes Holzboot zu steigen und Gefahr zu laufen zu kentern.

„Entweder das oder gar nichts“ lautete die Devise. Ich fügte mich. Ging jede Woche zwei Mal zum Training, war zusätzlich zur Schule weiterem Spot ausgesetzt, weil man sich wieder über das Gewicht lustig machte und mit meiner Sorge vorm Kentern spielte. Im Winter durfte ich gar nicht raus, da der Trainer seine Sorge äußerte, dass alle wegen mir in die kalte Ruhr fallen könnten. Also musste ich in Schal und Jacke auf dem Steg sitzen und zugucken. Ich erzählte davon zuhause und musste trotzdem hin. Schließlich hatte dieser Ruderverein Olympioniken hervorgebracht. Ein Ziel, von dem ich wusste, dass ich es nie erreichen würde, könnte und wollte.

Der ganze Spuk dauerte zwei Jahre. Zwei Jahre die mental nur weitere Schäden anrichteten. Zwei Jahre, in denen ich mich verschloss, weil ich lernen musste das Tränen und Anvertrauen nur weiter bestraft wurden und zum öffentlichen Schauspiel inszeniert wurden. Das traurige, dicke Mädchen wurde zur Zirkusattraktion, die man begaffen und misshandeln kann. Niemand schritt ein. Mein Trainer sagte damals, dass wenn ich dazugehören wolle, ich da eben durchmüsse. Als man mein T-Shirt aus der Umkleide klaute, mit Fingerfarben ein Schwein drauf malte plus ein herzerwärmendes „Oink-Oink“ lachte der Trainer und sagte nichts.

In der Schule schmierte man mir Yes -Törtchen ins Haar oder Gesicht. Und während ich noch im Unterricht weinte, schrien meine Klassenkameraden, nachdem die Lehrerin fragte, was los sein, dass ich wohl traurig bin, weil ich wohl gern mehr haben will aber jetzt die Packung leer wäre. Besagte Lehrkraft schüttelte amüsiert den Kopf und machte im Unterricht weiter. Es war die zweite Stunde und ich musste noch so den ganzen Tag im Unterricht sitzen, bis meine Mutter mich abholte.

Sie sah mich an und sagte „Lass dich nicht ärgern“ Von den Hämatomen an meinem Körper, durch Schläge, Tritte und Kneifen erzählte ich nichts mehr. Spucke kann man Gott sei Dank nicht sehen bzw. abwischen

So ging es fast jeden Tag. Über die gesamte Schulzeit.

Wer jetzt „Freunde“ in diesem Kontext sucht, dem muss ich leider sagen, dass es keine gab. Vereinzelt gab es mal jemandem dem man sich anvertraute, wo das Gefühl am Anfang auch ok war und dann aber für die eigenen Popularität missbraucht wurde, weil es eben Hip war mich zu demütigen. So machte meine damalige beste Freundin mal Fotos wie ich auf der Toilette saß. Sie vervielfältigte diese mit einem Kopierer und hängte diese Pamphlete in der ganzen Schule auf. Von Klassenfahrten will ich gar nicht erst anfangen. Geklaute Kleidung, Kleidung in der Toilette, angezündete Kleidung, bepinkelte Schuhe sind nur ein trauriger Auszug aus dieser Zeit.

Schutz gab es nicht. Und all das nur weil ich eben übergewichtig war.

Ich sehe also diese Bilder von frisch gebackenen Müttern, die sechs Wochen später ihren After Baby Body am Strand von Barbados zelebrieren. Jede Aussage daran ist falsch, auf mehreren Ebenen. Ich sehe Bilder von super schlanken Teenies, die sich feiern, dass sie in Size Zero passen und sich selbst dafür ganz sicher sogar selbst kasteien müssen. Die Lüge, dass sie alles Essen können und so viel wie sie wollen, können sie sich in ihre von Dyson Airgewrapten Haare schmieren. Sie geben ein vollkommen falsches Abbild. Ich feiere jeden jungen Menschen der sich, so wie er ist, auf social-media präsentiert. Ohne Inszenierung, ohne Filter, ohne Make-Up Artist, ohne perfekte Ausleuchtung und ohne Profi-Fotografen. Jeden jungen Menschen, der in die Plus-Size Kategorie fällt, und ich meine nicht jene die mit ihrer Kleidergröße 40 als „Plus-Size-Model“ gelten.

Ja, heute ist es eine andere Zeit. Die Anfeindungen sind deutlich weniger, wenn sie aber kommen, und sie sind immer irgendwo zu lesen, gehen sie immer in Richtung lebensunwert, ekelhaft und widerlich.

Aber wir dürfen nicht jene vergessen die sich eben nicht zeigen. Jene die misshandelt werden, die allein sind, die jeden Tag Opfer werden, die jeden Tag die Bürde es gelebten und geforderten Perfektionismus erdulden müssen. Es sind viele, ganz sicher sogar. Es ist ok mit manchen Menschen nichts zu tun haben zu wollen, aber es ist nicht ok sie auf einem Scheiterhaufen der eigenen Reputation zu opfern, es ist nicht ok sie für die eigene Popularität zu missbrauchen oder um sein eigenes, minderwertiges Ego aufzumöbeln. Die Schäden tragen diese Menschen ein Leben lang mit sich rum und sind eigentlich nur ein Schatten von dem was sie hätten sein können oder hätten erreichen können. Sich davon zu distanzieren, was passiert ist, gelingt nämlich nicht. Es wird Teil von einem, wie ein schwerer Stoff den man immer wie einen Mantel mit sich trägt.  Ich kann auch niemandem vergeben oder verzeihen. Ich hasse diese Menschen abgrundtief für das was sie mir angetan haben. Niemand muss an dieser Stelle kommen mit „Aber es waren doch Kinder“. Es gab genug Erwachsene, die sich mit schuldig gemacht haben, weggeschaut haben oder sogar eben mitgemacht haben. Es war nicht meine Aufgabe als Opfer mich selbst zu schützen, Aufklärungsarbeit zu betreiben. Das wäre die Aufgabe von Erwachsenen gewesen.

All das kocht von Zeit zu Zeit hoch, manifestiert sich und muss dann irgendwie ertragen werden. Natürlich kann man jetzt sagen, dass Psychotherapie angebracht wäre, aber meine zwei Ausflüge in dieses Bereich endeten einmal mit dem Satz „Warum sind sie so wütend?“ und einmal mit „Das ist alles lange her, sie müssen das loslassen“.

Also Therapie? Nein, danke. Ich gehe auf meine Art und Weise damit um. Sicherlich ist das noch massig Luft nach oben, aber ich lebe. Ich habe eine wundervolle Tochter, einen guten Job, lebe in einem schönen Haus und habe ein paar Freunde. Aber ich gehe härter mit Ihnen ins Gericht, überdenke jede Aussage 25-mal und überlege am Ende jeden Tages wer mir wo schaden könnte und bereite mich schon auf den Tiefschlag vor.

Dass Menschen aufrichtig freundlich zu mir sind, ohne dass sie mir schaden wollen, glaube ich nicht. Das man mich so liebt wie ich bin, auch nicht. Nicht mehr. Jeder hat einen Preis. Und wenn dieser hoch genug ist, verkauft er nicht nur die Seele seiner Großmutter, sondern auch die mentale und psychische Gesundheit eines Freundes.

So jappse ich selbst einem Ideal hinterher, was vor 30 Jahren manifestiert worden ist und weitere 30 Jahre jeden Tag so bestätigt wird. Macht das glücklich? Definitiv nicht! Macht es unglücklich? Definitiv ja!

Also was ist die Lösung? Sagen „Scheiss drauf!“ und leben? Wenn es doch nur so einfach wäre. Ich kann noch nicht mal die Bedingungen nennen, die mich glücklich machen würden. Ist es Kleidergröße 36? Sind es perfekte Haare? Perfektes Make-up? Äußerlichkeiten? Vermutlich nicht. Es wäre nur ein Verstecken und Überdecken der Wunden, die nie heilen werden. Ein Schutzschild.

Und die Blicke der anderen sieht man immer.

Vielleicht hilft aber dennoch ein bisschen mehr Selbstliebe

P.S.: macht euch mal den Spaß und sucht, wie ich, auf Pixabay nach einem Beitragsbild. Erst sucht ihr Plus-size (mit oder ohne Bindestrich ist egal) und dann sucht ihr nach „fat“

Q.E.D

Fat Funny Friend

I break the ice
So they don’t see my size
And I have to be nice
Or I’ll be the next punchline

I’m just the best friend in Hollywood movies
Who only exist to continue the story
The girl gets the guy while I’m standing off-screen
So I’ll wait for my cue to be comedic relief

Can’t be too loud
Can’t be too busy
If I don’t answer now, are they still gonna need me?
Can’t be too proud
Can’t think I’m pretty
Do they keep me around, so their flaws just seem silly?

I say I’m okay
‚Cause they wouldn’t care anyway
And I could try to explain
But my efforts in vain
They can’t relate to how I’ve

Drawn out in Sharpie where I take the scissors
If that’s what it took for me to look in the mirror
I’ve done every diet to make me look thinner
So why do I still feel so goddamn inferior?

Can’t be too loud
And can’t be too busy
If I don’t answer now, are they still gonna need me?
Can’t be too proud and
Can’t think I’m pretty
Do they keep me around, so their flaws just seem silly?

Life of the fat, funny friend
Life of the fat, funny friend

It’s funny when I think a guy likes me
And it’s funny when I’m the one who says, „Let’s go to eat“
It’s funny when I’m asked to go out on Halloween
Dresses and thigh highs, while I hide my body

Can’t be too loud
And can’t be too busy
If I don’t answer now, are they still gonna miss me?

Can’t be too loud
And can’t be too busy
If I don’t answer now, are they still gonna need me?
Can’t be too proud and
Can’t think I’m pretty
Do they keep me around, so their flaws just seem silly?

Life of the fat, funny friend
Life of the fat, funny friend
Life of the fat, funny friend
Life of the fat, funny friend

I’ve drawn out in Sharpie where I take the scissors

Song by Maddie Zahm

Veröffentlicht von schwesterunbequem

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