Bitte antworten Sie in maximal 2 Sätzen was in der Pflege geändert werden muss

So, oder ähnlich, erhalte ich oft Fragen in Interviews.

Das sind dann die Momente, wo ich kurz innehalte, schmunzeln muss, dann zum Telefon greife und meinen Interviewer anrufe, um zu erklären WARUM das eben nicht in 1-2 Sätzen zu erklären ist.

Im direkten Diskurs wird dann schnell klar, dass der Interviewer nur eine rudimentäre Ahnung hat was die Thematik an geht. Oft wird aber auch nur ein Standardsatz wie „Besser Arbeitsbedingungen, mehr Lohn, mehr Personal“ erwartet. Reihenfolge egal, gerne mit emotionalen Füllwörtern. Fertig ist das Interview.

So einfach ist das aber leider nicht. Ich gebe gerne zu, dass ich vor ein paar Jahren selbst sehr unreflektiert nach besseren „Arbeitsbedingungen“ geschrien habe, ohne mir überhaupt Gedanken zu machen, was ich da überhaupt sage.

Die Forderung nach mehr Gehalt teile ich gerne. Das ist auch auf den ersten Blick einfach in einem Satz erklärt. Wir sind uns alle einig, dass Pflege besser entlohnt werden muss. Jetzt kommt aber das dicke ABER: Aber sie muss auch besser refinanziert werden, sprich es gibt nicht nur die Arbeitnehmerseite, sondern auch die Arbeitgeberseite. Und damit sind wir bei diesem unscheinbaren Thema von Gehalt nicht mehr bei einer Ein-Satz-Antwort.

Um das ganze Mal auf die bildlichere Ebene zu holen:

Eine Freundin von mir hat einen Pflegedienst. Klein, fein, familiär, nett. Sie ist eine großartige Chefin, hat den Rundumblick, ist bemüht darum das es ihren Mitarbeitern gut geht, plant die Touren mit Bedacht. Vor ein paar Jahren wäre es für mich erstrebenswert gewesen dort zu arbeiten. Mittlerweile nicht mehr. Im Schnitt verdient eine Pflegefachkraft circa 1/3 weniger als in der stationären Akut- und Langzeitpflege (und letztere ist wirklich oft schlecht bezahlt)

(https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/4_Pressemitteilungen/2015/2015_1/150127_zuPM-Anlage_Studie_zu_den_Entgelten_der_Pflegeberufe.pdf)

Diese Zeilen stammen aus dem Bundesgesundheitsministerium und wurde 27.01.2015 veröffentlicht.

2018 veröffentlichten Seibert, Carstensen und Wiethölter über das IAB folgendes:

(http://doku.iab.de/arbeitsmarktdaten/Entgelte_von_Pflegekraeften.pdf)

Sie kamen in dieser Auswertung zu dem Schluss, dass nicht nur ein Unterschied zwischen West und Ost existiert, sondern auch in welchem Bereich die Fachkräfte und Hilfskräfte arbeiten. Weiter dazu im Fazit aus Seite 5:

Sie sind aufgrund der ausgehandelten Pflegesätze außerdem weniger

flexibel als in anderen Wirtschaftsbereichen. Zugleich ist der Lohn als Instrument zur

Motivation und längerfristigen Mitarbeiterbindung und im Rahmen des weiter wachsenden Fachkräftebedarfs von erheblicher Bedeutung (vgl. Bogai 2017).

Dennoch unterscheiden sich die Löhne in der Pflege nach wie vor erheblich zwischen

den Pflegeberufen, den Bundesländern und den verschiedenen Pflegeeinrichtungen“

Man kennt das Problem jetzt nun nicht seit 2018 oder 2015, sondern schon länger.

Meine Freundin würde gerne mehr Gehalt zahlen, kann es aber eben nicht wegen den, wie gerade eben genannten, ausgehandelten Pflegesätzen. Nur sind wir mal ehrlich, wer gute Pflege will, muss sie auch bezahlen. Ich verwende gerne das Beispiel mit dem Schreinermeister. Wer eine Treppe benötigt, aber nur 300€ zahlen will bekommt eine Leiter, aber eben keine Treppe.

Wir befinden uns in einer Gesellschaft die grundsätzlich immer alles und zu jedem Zeitpunkt bekommt. Egal ob es das Hackfleisch samstagabends um 21 Uhr im Supermarkt ist, oder der Fernseher, den man online bestellt und am nächsten Tag geliefert bekommt. Wir haben Zugriff auf alles, zu jeder Tages- und Nachtzeit.

Auch in den Kliniken erleben wir diese Mentalität immer häufiger. Da muss der seit 3 Wochen bestehende Rückenschmerz dann Sonntagnacht „schnell mal eben abgeklärt werden“ in der Notaufnahme. Auch die Medizin und Pflege ist ein allseits abrufbares Gut für viele geworden. Aber was, wenn eben jenes Gut nicht mehr uneingeschränkt zur Verfügung steht?

Wie Carstensen et al formuliert haben, spielt auch das Gehalt in Hinblick auf Mitarbeiterbindung eine große Rolle. Fachkräfte und auch Hilfskräfte zu bekommen wird immer schwieriger. Die Arbeitslosenquote der Pflegefachpersonen liegt aktuell bei 1,1% (https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Statischer-Content/Statistiken/Themen-im-Fokus/Berufe/Generische-Publikationen/Altenpflege.pdf?__blob=publicationFile&v=7 )

Das sind für die Krankenpflege 12.400 Arbeitslose. Inkludiert sind dort Experten, Fachkräfte und Hilfskräfte. Demgegenüber stehen 15.500 offene Stellen, die nicht besetzt werden können.

Schaut man sich also die letzten Jahre an, hat sich da nur marginal was verändert bzw. ist gleichgeblieben.

Was auch nicht beachtet wird ist, dass eine Pflegefachperson sich ihren Job eben aussuchen kann und nicht jedes freie Angebot „ums Eck“ annehmen muss. Somit haben wir eigentlich einen arbeitnehmerdominierten Arbeitsmarkt. Der reine Wirtschaftler würde sagen, dass das die beste Voraussetzung ist, um individuell ein besseres Gehalt auszuhandeln. Dem ist leider nicht so.

Dass Headhunter anrufen oder mailen passiert relativ häufig, besonders im letzten Jahr. Ob es an der medialen Aufmerksamkeit lag, vermag ich nicht zu sagen. Ein Angebot kam von rund 80km Entfernung. Es war bewusst, dass diese Entfernung vorlag. Meine Bedingungen waren klar formuliert. (Fachweiterbildung). Über das Gehalt könne man reden. Man lud mich zur Hospitation ein. Die Station war großartig, das Team nett. Die 80km störten mich nicht wirklich. Als es dann ans Eingemachte ging, wurde die Fachweiterbildung mit der Begründung vom Tisch gewischt, dass ich erst 2-3 Jahre im Haus sein müsste. Würde schließlich Geld kosten. An einer Beteiligung der Fahrtkosten war man nicht interessiert, schließlich wäre ein eigener Vertrag mit einer einzelnen Pflegekraft nicht möglich. (Bei Ärzten ist dies im Übrigen durchaus möglich). Eine höhere Eingruppierung in die Entgeltabelle schlug man ebenfalls aus, aber man begrüßte das ich Pflegewissenschaft studiere und würde gerne von dem Benefit profitieren. Eine Beteiligung an den Kosten des Studiums wurde ausgeschlossen.

Ich lehnte dann dankend ab. Fakt ist, dieses Krankenhaus war mehr auf mich angewiesen als ich auf sie. Dieselben Bedingungen finde ich hier zuhauf im Umkreis. Dafür müsste ich eben nicht jeden Tag 160km fahren. In diesem KH wurden Betten gesperrt, weil es zu wenig Personal gab, man brauchte auch Menschen wie mich händeringend, war aber nicht bereit auch dafür mehr zu bezahlen. So holt man sich lieber die umgangssprachliche Leiharbeit ins Haus. Zu zahlende Stundenlöhne an die Arbeitnehmerüberlassung variieren stark, liegen aber zwischen 35 – 55€/Std. (Je nach Region und Ausbildung; lokal auch mal um ein Vielfaches höher). Jetzt könnte man meinen, dass dem Klinikbetreiber doch auffallen muss, dass es Irrsinn ist einer festangestellten Pflegefachperson nicht ein ähnliches Gehalt zu ermöglichen. Fakt ist aber, dass diese Kosten eben nicht als Personalkosten gewertet und abgerechnet werden, sondern erstmal auf ein Sachkonto gebucht.  Später dann werden diese Kosten dem entsprechenden Personalkonto zugerechnet, aber nur das tarifübliche Gehalt. Mehrkosten berühren nicht das Pflegepersonalbudget. Sprich, es bleiben Sachkosten.

Dazu das KHEntgG §6a Abs2:

„Bei Beschäftigung von Pflegepersonal ohne direktes Arbeitsverhältnis mit dem Krankenhaus, insbesondere von Leiharbeitnehmern im Sinne des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes, ist der Teil der Vergütungen, der über das tarifvertraglich vereinbarte Arbeitsentgelt für das Pflegepersonal mit direktem Arbeitsverhältnis mit dem Krankenhaus hinausgeht, und damit auch die Zahlung von Vermittlungsentgelten, nicht im Pflegebudget zu berücksichtigen.“

Es ist also unattraktiv und unwirtschaftlich für eine Klinik höhere Gehälter als im Tarif vereinbart zu zahlen, sofern festangestellt. Dieses Mehr an Lohnkosten kann nur über das Pflegepersonalbudget verrechnet werden.

Das zu das KHEntgG §6a:

„Weichen die tatsächlichen Pflegepersonalkosten von den vereinbarten Pflegepersonalkosten ab, sind die Mehr- oder Minderkosten bei der Vereinbarung der Pflegebudgets für das auf das Vereinbarungsjahr folgende Jahr zu berücksichtigen, indem das Pflegebudget für das Vereinbarungsjahr berichtigt wird und Ausgleichszahlungen für das Vereinbarungsjahr geleistet werden. Das Pflegebudget ist in seiner Entwicklung nicht durch den Veränderungswert nach § 9 Absatz 1b Satz 1 begrenzt. Die Wirtschaftlichkeit der dem einzelnen Krankenhaus entstehenden Pflegepersonalkosten wird nicht geprüft und § 275c Absatz 6 Nummer 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch ist zu beachten; die Bezahlung von Gehältern bis zur Höhe tarifvertraglich vereinbarter Vergütungen gilt als wirtschaftlich, für eine darüber hinausgehende Vergütung bedarf es eines sachlichen Grundes.“

Soweit so gut, der sachliche Grund wäre ja gegeben: Es fehlt Personal, man kann die Betten nicht öffnen, weil es ja die schönen PPuG gibt, zahlt man halt mehr Gehalt.

Liest man weiter, kommt folgendes:

„Sofern das Krankenhaus ab dem Jahr 2020 Maßnahmen ergreift oder bereits ergriffene Maßnahmen fortsetzt, die zu einer Entlastung von Pflegepersonal in der unmittelbaren Patientenversorgung auf bettenführenden Stationen führen, ist von den Vertragsparteien nach § 11 zu vereinbaren, inwieweit hierdurch ohne eine Beeinträchtigung der Patientensicherheit Pflegepersonalkosten eingespart werden.“

Bedeutet einfach ausgedrückt: Ihr dürft einen Mehraufwand haben, aber bitte spart das auch an anderer bzw. Pflegestelle wieder ein. Ein Paradoxon. Denn wirtschaftlich ist, was durch Tarifverhandlungen vereinbart worden ist.

Selbst wenn die Arbeitgeber also wollen, werden sie durch das KHEntgG und das Krankenhausfinanzierungsgesetz gehindert. Es gibt schlichtweg keine Möglichkeit von Ausnahmen, ohne wieder andere Bereich in Mitleidenschaft zu ziehen. Das würde unweigerlich zu einer Spaltung innerhalb der Belegschaft kommen. Von diesem Gesichtspunkt her kann ich die Klinken verstehen, wenn es keine Ausnahmen gibt. Ich würde nicht wollen, dass durch mein höheres Entgelt jemand unterm Strich gekündigt werden muss.

Es bliebe also nur eine Möglichkeit: Großflächige Kündigungen, Abwanderungen in die Leiharbeit und so durch die Arbeitnehmer Druck auf die Politik ausüben. Man möge sich mal vorstellen, dass ein großes Uniklinikum von jetzt auf gleich ohne Personal dastünde. Klingt verlockend, wird aber nicht passieren da die Pflege nicht organisiert ist, ihre Macht nicht erkennt und es letztlich dann doch ganz ok so ist wie es ist. Ein Teufelskreis.

Aber kommen wir doch mal auf die bereits erwähnte Leiharbeit.

Von einigen Politikern als das Grundübel der Menschheit empfunden, was es zu bekämpfen und verhindern gilt und als Patientengefährdung gesehen wird (https://www.pflegen-online.de/dilek-kalayci-spd-will-zeitarbeit-verbieten), so ist es dennoch für einige Kollegen ein teilweiser Ausstieg. Natürlich bleiben die prekären Bedingungen dieselben, aber die Bezahlung ist deutlich besser, man kann die Klinik oder das Heim wechseln, wenn es ganz arg ist, man kann sein Frei vorgeben und eben durch das höhere Gehalt kann eine vorherige Vollzeitbeschäftigung in Teilzeit geändert werden. Liest man solche Äußerungen wie diese von Frau Kalayci stellt man sich unweigerlich die Frage, wie viele Kollegen denn in einer Arbeitnehmerüberlassung (ANÜ) verortet sind.

Dazu der Interessenverband deutscher Zeitarbeitunternehmen (IGZ)

https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=&cad=rja&uact=8&ved=2ahUKEwj3uJK4t5zyAhXOgf0HHXB5DpAQFnoECAQQAw&url=https%3A%2F%2Fig-zeitarbeit.de%2Fsites%2Fdefault%2Ffiles%2Fredaktion%2Fartikel%2F2019%2F20180329_argumentation_pflege.aktuell_2.pdf&usg=AOvVaw3bF2GPEuvjJG3YxjDrxDnb

Bei maximal 2% von 1,7 Mio. Beschäftigten im Pflegebereich, muss man jetzt keinen komplizierten Dreisatz mit Wurzelziehen können, um auszurechnen, dass das eher eine vernachlässigbare Anzahl an Kolleg: Innen ist. Aber dennoch sprach und spricht man von Verbot. Eine nachvollziehbare Antwort bleibt man aber schuldig. Dass auf das Allgemeinwohl oder den Teamspirit zu schieben, lasse ich an dieser Stelle nicht gelten. Vielleicht sollte man sich an dieser Stelle die Frage stellen warum eben jene Kolleg:Innen das feste Team verlassen, um in der ANÜ ihr Glück zu finden. Zum einen sind es monetäre Anreize, wie vorhin erwähnt, zum anderen ist es schlichtweg die gewährte Flexibilität. Als Beispiel kann man sich dafür die alleinerziehende Mutter oder Vater nehmen, die noch ein Schul- oder Kitakind versorgen müssen. Wenn dann noch eine schlechte soziale Umfeldstruktur dazukommt, ist ein normaler Schichtdienst fast nicht mehr möglich, oder nur mit sehr großen Abstrichen. Kindertagespflegeeinrichtungen mit dementsprechenden Zeiten, die dem Schichtdienst Rechnung tragen, gibt es selten. Zudem muss man sich auch mal bewusstwerden, dass 6 Uhr Schichtdienstbeginn bedeuten würde, dass das Kind je nach Erreichbarkeit von Betreuung und Arbeitsstelle gut und gerne dann auch mal um 4 Uhr aus dem Schlaf gerissen werden müsste. Und nicht ganz unironisch sage ich an dieser Stelle: Kitakinder und Grundschulkinder können sich noch nicht allein anziehen, Frühstück machen und dann eigenständig zur Kita. Vielleicht mag der ein oder andere jetzt schmunzeln, aber ja, ich habe solche abstrusen Forderungen schon gehört. Von Kolleg:Innen. Auch dass man so ein Kitakind auch schon mal in der Wohnung einschließen könnte für eine Schicht! Glauben Sie nicht? Hätte ich auch nicht, wenn ich nicht danebengestanden hätte.

An dieser Stelle sei versichert, wer sein Team liebt, seine Klinik liebt, die Arbeit vielleicht nicht immer großartig findet, aber unter Strich ganz ok, verlässt nicht seinen Arbeitsplatz, um rein aus monetären Beweggründen in die ANÜ zu wechseln. Oft ist es ein Mix aus fehlender Wertschätzung, Respektlosigkeit im Team, die Schlagzahl, die gefordert wird, die verweigerte Weiterbildung, das ständige Anrufen im Frei und Urlaub, ob man nicht doch einspringen kann, die 12 Tagesschichten mit 2 freien Tagen um sich zu „erholen“ sowie das Ignorieren von Arbeitsschutzgesetzen und Ruhezeiten. Letztlich bietet die ANÜ zwar ständig wechselnde Kliniken, aber mehr Planungssicherheit und eben auch mehr Lohn. Das System bleibt dasselbe, aber wenn es schon mistig läuft, warum dann nicht woanders mehr Geld bekommen? Ich finde, dass das eine durchaus berechtigte Frage ist, die man sich gefallen lassen muss. Als Arbeitgeber: In, als Politiker: In.

Dennoch, wir reden noch nicht mal von 30.000 Kolleg: Innen, die diesen Weg gewählt haben, von einer Bedrohung zu reden, halte ich nach wie vor für völlig überzogen und realitätsfern. Ich wünschte es wäre anders. Ich wünschte jede zweite würde ich die ANÜ wechseln und die eigene Klinik müsste dieselbe Mitarbeiter: In wieder teuer einkaufen, weil sonst der Betrieb gefährdet wären. Meine Hoffnung wäre, dass Kliniken sich dann die Frage stellen, warum die Mitarbeiter: Innen gegangen sind, was sie hätten tun können, aber das ist Schwarzwaldklinikromantik. Ich versichere Ihnen, diese Frage wird sich niemand stellen. Eher wird man die Schuld bei den ANÜ suchen. Nach 20 Jahren in diesem Beruf kann ich mit Fug und Recht behaupten, dass es nur sehr wenige Klinikbetreiber: Innen gibt die sich aktiv damit auseinandersetzen würden. Erst wenn die Bilanz der Klinik so schlecht wäre aufgrund der Kosten und man vielleicht, dank des Krankenhausfinanzierunggesetz kurz vor der Schließung stehen würde, würde man sich das vielleicht fragen. Vorher aber nicht. Und selbst dann wäre ich mir nicht so sicher, ob die Schuld beim Personal gesucht werden würde, um sich nicht mit dem eigenen Versagen auseinanderzusetzen. Ja, 20 Jahre Klinik lassen einen so pessimistisch und verschwörungstheoretisch in dem Bereich denken.

Wir sehen also, dass die Forderung nach mehr Gehalt zwar wichtig ist, auch umgesetzt werden muss, dafür aber eben auch die Grundlagen geschaffen werden müssen. Entweder eben per Gesetz, dass ein individuelles Plus nicht gleich zu Kürzungen in anderen Bereichen führt oder eben über die Tarifverhandlungen, wenn dies als goldener Standard verwendet wird.

Apropos Tarifverhandlungen! Ein schwieriges Thema. Allein dazu könnte ich stundenlang schreiben und am Ende käme wieder dabei heraus, dass wir entweder nichts wert sind oder eben selbst schuld, weil wir uns nicht organisieren. Unsere Stammgewerkschaft, die eigentlich für uns zuständig ist (Verdi) kommt gerne zu dem Schluss, dass sie deswegen keine höheren Löhne aushandeln, weil sich nur sehr wenige Kolleg: Innen zu Gewerkschaftsarbeit bzw. Mitgliedschaft bewegen lassen würden. Fragt man allerdings jene die nicht Mitglied sein wollen, mokieren sie die mangelnde Einsatzbereitschaft von Verdi bei Tarifverhandlungen und schlechten Outcomes. Subjektiv beißt sich die Katze genau dort in den Schwanz und ich muss an dieser Stelle beiden Parteien Recht geben, in Teilen. Ich selbst habe mich nie von Verdi vertreten gefühlt, auch da eher als unliebsamen Teil der Gesellschaft, der bitte nichts kritisiert und stillschweigen hinnimmt. Ganz eklatant jetzt auch in der Pandemie als Hubertus Heil die Arbeitszeitgesetze aushebelte, wird 12 Stunden arbeiten „durften“ (welch Freude!) und die Ruhezeiten auf 9 Stunden verkürzte. Eine Zwangsverpflichtung bekam man nicht durch, obwohl sie relativ oft thematisiert worden ist, gerade in NRW und Niedersachsen, dennoch war die Empörung auf Seiten der Gewerkschaft noch nicht mal ein laues Lüftchen. Die Diskussion um diese Zwangsverpflichtung war schlussendlich dann auch schnell vom Tisch, da der wissenschaftliche Dienst der Bundesregierung zu dem Schluss kam, dass ein solcher Vorstoß verfassungswidrig sein.

Viele sind enttäuscht von Ver.di und Ver.di umgekehrt von wenig Mitgliedern. Vielleicht, und nur als kleiner Denkanstoß, wäre hier der Satz ganz passend: „Wenn der Berg nicht zum Propheten kommt, geht der Prophet eben zum Berg“. Wäre es so schwer für eine Gewerkschaft mal all den ganzen Frust über Bord zu werfen, die Hemdsärmel hochzukrempeln, nachzugeben und eine unnachgiebige Pflegepolitik durchzusetzen? Für eine starke Pflege? Für mehr Wertschätzung? Wäre das nicht das beste Mittel, um vielleicht auch Mitglieder zu gewinnen? Und wenn wir schon dabei sind, sollte sich eine Gewerkschaft nicht auch für eine Professionalisierung und Akademisierung MIT den Kammern stark machen, anstatt sie madig zu machen? Es geht nur Miteinander und nicht um eine persönliche Bias, auch nicht darum wer zuerst die Schaufel in der Hand hatte. Die Diskussion ist vielerorts einem Gerangel gewichen, hat die Sachebene verlassen und in diesem Fall ist es nicht so, dass wenn zwei sich streiten sich der Dritte freut. Der Dritte ist die Pflege, und die leidet. Massiv.

Das war jetzt das Thema Gehalt. Es hängt von vielerlei Faktoren ab. Von persönlichen, vom wollen und nicht können, vom können und nicht wollen, von Zankäpfeln, von Lobbyisten, von Aktionären. Der traurige Clown, der es eben ausbaden muss, dabei aber noch lächeln darf, ist die Pflege.

Veröffentlicht von schwesterunbequem

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