
Es ist 4 Uhr morgens..
….als mein Handy klingelt.
Ich erschrecke ein wenig und ärgere mich kurz darüber, dass ich es nicht auf lautlos gestellt habe. Zum Glück, wie sich noch herausstellt.
Ich drücke auf „Annehmen“ und sage „Hallo?“
Das Erste was ich vernehme ist Schluchzen und bin schlagartig hellwach. Ich schaue erneut auf`s Handy und registriere den Namen der ärztlichen Kollegin.
„Steffi* (Name geändert), was ist los?“ Ich sitze kerzengerade im Bett und werde unruhig. Ehemann und Kind liegen selig schlummernd neben mir im Bett als ich das Telefon vom Ladekabel trenne und eilig das Schlafzimmer verlasse, dabei das Telefon am Ohr und höre wie Tränen fließen.
„Steffi, sag was los ist!“ fordere ich sie auf.
Sie kann kaum atmen und wird immer wieder durch ihr eigenes Weinen unterbrochen. Ich höre zu, sage ihr das ich da bin und ihr zuhöre, sie sich aber kurz beruhigen soll, damit ich verstehe was los ist.
Sie sammelt sich für zwei, drei Sekunden und sagt fast erstickend das sie ein Kleinkind bei einer Reanimation verloren hat, es nicht retten konnte.
Ich setze mich auf die Treppen im Hausflur, es ist dunkel und kalt, und ich merke wie mir die Kälte weiter in die Knochen kriecht. Ich atme tief durch.
„Wo bist du jetzt? Ist jemand bei dir?“ frage ich.
„Noch im Krankenhaus. Dr. M ist hier“ schnieft sie.
„Gib ihn mir bitte mal!“ sage ich und höre wie das Telefon weitergereicht wird. Ich höre wie er knapp abreißt was passiert ist. Er atmet ebenfalls tief durch. Ein Kind zu verlieren ist das Schlimmste was einem passieren kann und selbst der Härteste mag daran verzweifeln. Manche zeigen das, manche nicht. Das schwere Ausatmen und die langezogenen Sätze zeigen mir das auch er mitgenommen ist, sagt aber im nahezu gleichen Atemzug, dass er den restlichen Dienst übernimmt und Steffi nach Hause schicken will.
Er reicht das Telefon zurück.
„Steffi du kommst jetzt vorbei. Ich mache Kaffee!“ Sie nickt, ich kann es hören. Dann wird aufgelegt. Ich kann kaum aufstehen so schwer drückt mich dieses Wissen runter aber ich weiß das sie da jetzt nicht alleine durch kann und Hilfe braucht.
Ich gehe in die Küche und setze Kaffee auf. Mein Mann kommt kurz runter und fragt was los ist. Ich erzähle ihm kurz was passiert ist. Er drückt mir einen Kuss auf die Stirn, nickt und sagt leicht lächelnd „Du weißt schon, dass du nicht die unbequeme Schwester bist, oder?“
Ich lächle. Ja, das weiß ich. Ich gebe es nur nicht gerne zu.
Seelenstriptease um 4 Uhr morgens…darauf bereitet einen auch keiner vor.
10 Minuten später sitze ich auf der Treppe vor der Tür und warte auf Steffi, als sie aus dem Dunkel plötzlich vor mir steht. Sie weint…aufgehört hat sie sicherlich nicht in den letzten Minuten.
Alles was sie kann ist mir um den Hals fallen. Wie ein kleines Kind kniet sie vor mir und weint um ein verlorenes Kind, was sie kaum kannte, um eine Zukunft, die nicht mehr stattfinden wird und um ihre eigene Unschuld die ein jähes Ende fand. Bisher war sie eingewickelt in einen Kokon der aus Fäden voller Zuversicht und Hoffnung gestrickt war. Fern waren solche Horrorszenarien.
Wir sitzen so einige Zeit und lasse sie weinen.
Irgendwann sind wir dann reingegangen. Ich drücke ihr einen Kaffee in die Hand und wir hocken uns auf den Boden in die Küche und sie beginnt zu reden.
Ich lasse sie und höre einfach zu.
Manchmal braucht es nicht mehr. Nur jemanden der zuhört, der dich drückt, der dir zeigt das du da bist und das auffangen kannst und willst. Mir fällt es nicht leicht und ich fühle mich an meine frustranen Reanimationen erinnert, an all das Leid und an all die Leben die man nicht retten konnte.
Drei Stunden sitzen wir so. Irgendwann hörten die Tränen auf, aber ich weiß das sie wieder kommen werden. Auch dann werde ich da sein und zuhören. Auch dann wieder, wenn es sein muss, um 4 Uhr morgens in meiner Küche.
Im Laufe des Vormittags ruft mich der Oberarzt an und bedankt sich bei mir das ich das aufgefangen habe. Er hätte es nicht gekonnt. Nicht weil er nicht wollte, weil er selbst damit haderte und ihr nicht hätte helfen können weil ihn die Trauer selbst fast erstickt.
Eine Aussage die ihn in einem anderen Licht erscheinen lässt und meinen ganzen Respekt verdient.
Wir müssen mehr aufeinander aufpassen, mehr zuhören, mehr Empathie zeigen, mehr aufeinander zugehen, mehr zwischen den Zeilen lesen, mehr Familie sein.
Ganz grenzüberschreitend ohne Standesdünkel. Unabhängig davon ob wir aus der Pflege, Ärzteschaft, Therapie oder sonst wo her kommen, sind wir am Ende nur Menschen.
Danke dafür!
In unserer Medizinbubble müssen wir uns gegenseitig stützen.
Liebe Grüsse
mo
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Vielen lieben Dank für den Kommentar! Du hast vollkommen recht, wir müssen und gegenseitig helfen und unterstützen. LG
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❤️😪💐statt Worten, denn besser als Du könnte ich es nicht sagen
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Danke dass Sie alle Professionen erwähnen. Auch wir Therapeuten verlieren ab und an Langzeit- oder einfach lieb gewonnene Patienten und brauchen ein offenes Ohr und Unterstützung von Kollegen/Freunden! 🤐🤧😢😭😳🙁😌
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