Ich lese, ich überlege, ich recherchiere, ich formuliere, ich lösche, ich schreibe neu, ich überlege erneut und bin am Ende immer betroffen.
Ich beantworte geduldig nahezu jede Anfrage an mich. Zur Pflegepolitik, zur Ausbildungsreform, zu persönlichen Erfahrungen und auch versuche ich immer eine Antwort zu finden, wenn es ums allgemeine „Auskotzen“ geht.
Es wird immer mehr aber ich bin nicht genervt. Erschöpft ja, manchmal.
Ich realisiere zunehmend, dass ich Menschenleben auf irgendeine Art und Weise berühre, vielleicht nur am Rande, sekundenweise, für einen einzigen Moment, aber ich nehme Einfluss.
Ich bin Krankenschwester, Pflegefachperson wie es jetzt neuerdings so schön heißt, ich habe tausende Menschen durch meine Hände wandern sehen. Tausenden die Hände geschüttelt, habe warme Worte übrig gehabt, habe viele ermahnt, ihnen Ratschläge gegeben, sie bewertet, sie auch ab und an mal angemault. Das passiert, ich bin schließlich auch nur ein Mensch.
Und ganz oft frage ich mich welchen Benefit oder Impact ich für den Einzelnen hatte, ob sein Leben schlechter oder besser durch mich wurde, ob ich zu einem Wendepunkt beigetragen habe oder ob meine Mühen einfach nur Schall und Rauch waren.
Ich erinnere mich an eine Begegnung vor knapp zwei Wochen als ich an einer Raststätte an der Autobahn anhielt und getankt habe.
Es war Samstag, es regnete und es war relativ früh. Hinter der Kasse stand eine Frau, irgendwas um die 50 würde ich schätzen. Sie war gestresst und traurig, warum war nicht klar. Ich schaute auf Ihr Namensschild wo ich den Namen Maria las. Was sie nicht weiß, ich werde diesen Namen nicht mehr vergessen. Sie schaute mich kurz an, versuchte zu lächeln, aber ihre Augen verrieten etwas anderes. Sie wollte nicht dort sein in dem Moment, nicht an diesem Ort und auch nicht mit mir. Ich nahm ihr das nicht übel.
Da ich die einzige Kundin zu dem Zeitpunkt war, brauche sie nicht fragen welche Zapfsäule meine war und sagte mir direkt den Betrag den ich zahlen sollte.
Ich lächelte sie an und gab ihr das Bargeld. Sie war derart irritiert ob meines Lächelns, dass ich diesen Gesichtsausdruck nicht mehr vergessen werden.
Ich gab ihr das Geld und schob mit meinem Lächeln ein „Bitte“ hinterher. Weiterhin sah sie mich einfach nur an, als hätte seit Jahren niemand mehr ein freundliches Wort für sie über gehabt, geschweige denn ein Lächeln.
Sie nahm das Geld stumm an und gab das Wechselgeld heraus.
„Vielen lieben Dank“ antwortete ich, drückte ihre Hand und wünschte ihr zusätzlich einen stressfreien Tag sowie einen schönen Sonntag.
Maria brachte innerhalb von einer Sekunde das breiteste Lächeln in ihr Gesicht was ich je gesehen habe und ich konnte sehen, dass ich für einen winzigen Bruchteil ihr Leben in dem Moment verbessert hatte. Ob es nachhaltig ist, vermag ich nicht zu sagen, aber der Moment war wichtig. Für sie, für mich.
Manchmal sind es die kleinen Dinge die etwas verändern und etwas Schönes hervorbringen. Vielleicht hatte Maria danach einen besseren Tag, vielleicht war sie danach weniger traurig, weniger gestresst, vielleicht waren die Arbeitsstunden danach etwas erträglicher. Ich weiss es nicht, aber ich habe ein Menschenleben berührt in diesem Moment und es nachhaltig nicht geschädigt. Das ist nicht selbstverständlich in der heutigen Zeit.
Die Menschen, generell, neigen dazu sich eher zu verletzen und geringschätzig zu behandeln als Ihnen das Gefühl der Akzeptanz und des Respekts zu vermitteln. So als würde jedes Quäntchen Unglück das wird verursachen, uns unserem Glück ein Stück näher bringen.
Ich möchte so nicht sein. Ob mir das immer gelingt, wage ich zu bezweifeln. Auch ich bin manchmal ungerecht. Das nicht zuzugeben wäre eine absolute Fehleinschätzung der eigenen Person. Der Unterschied ist aber, ob man sich entschuldigen kann für seine Ungerechtigkeit, setzt natürlich voraus, dass das auch erkannt wird.
Ich reflektiere meinen Tag, evaluiere ihn für mich selbst und bewerte ihn. Ich spreche mit Freunden, meinem Mann und höre mir Kritik an und versuche so, etwas ungerechtes dann wieder gerecht zu machen. Das fällt natürlich nicht immer leicht. Aber was ist schon leicht am Erwachsensein?
Und so lese ich alles was man mir zukommen lässt, mit dem Bewusstsein das ich ein Menschenleben berühre, es verändern könnte und maßgeblich eine Entscheidung beeinflussen kann oder den Blickwinkel verändere. Dem sollte man sich immer bewusst sein.
Der Grat zwischen verkacken und „gut hinbekommen“ ist schmal. Gerade dann wenn man nicht mehr den persönlichen Kontakt hat und sich lediglich auf geschriebenes Wort verlassen muss. Aber ich versuche es immer so neutral wie möglich und damit wertfrei zu lesen und dann auch so zu antworten. Manchmal sind es dann die Inhalte zwischen den Zeilen die etwas ändern.
Die Nachrichten die mich in den letzten Wochen erreichten, kamen zunehmend von Azubis aus der Pflege mit Fragen nach Ratschlägen, Tips, Ausbildungsinhalten, Prüfungsthemen und Geschichten aus dem Alltag.
Ich höre Ihnen allen zu, scheinbar tun es nur wenige oder keiner.
Und in jedem Moment wo ich antworte und schreibe ist mir bewusst, dass jeder seine eigene Maria ist, der man nur im richtigen Moment zur richtigen Zeit einfach nur ein Lächeln und die richtigen Worte sagen muss um den Tag ein bisschen besser zu machen. Ihnen das Gefühl gibt „ich sehe dich, ich nehme dich als Person wahr“.
Ich hoffe immer das es hilft und ich etwas Gutes geschafft habe, aber am Ende bin ich immer betroffen und packe es in meinen Tag und nehme es mit ins Bett.
Gerne würde ich noch sagen „Du bist wichtig, so wie du bist, lass dir das nicht nehmen“, schreibe es aber nie. Warum weiß ich auch nicht.
Daher hier:
„Du bist wichtig, so wie du bist, lass dir das nicht nehmen!“